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Neue Fragmente

Novalis


Traktat vom Licht

"Zu einem Traktat vom Licht ist vieles fertig.
Das Licht wird nur der Mittelpunkt, von dem
aus ich mich in mancherlei Richtung zerstreue."
Novalis an Fr. Schlegel im Dez. 1797.

(Das Schöne ist das Sichtbare kat' exochen.) 2105

Entweder muß das Medium der Wahrnehmung durch den Gegenstand bewegt werden - Schall - oder das Medium muß sich herwegen und nur von dem ruhenden Gegenstand affiziert werden - Licht. 2106

Ein Lichtstrahl bricht sich noch in etwas ganz anderes als in Farben. Wenigstens ist der Lichtstrahl einer Beseelung fähig, wo sich dann die Seele in Seelenfarben bricht. Wem fällt nicht der Blick der Geliebten ein? 2107

Alle geistige Berührung gleicht der Berührung eines Zauberstabs. Alles kann zum Zauberwerkzeug werden. Wem aber die Wirkungen einer solchen Berührung so fabelhaft, wem die Wirkungen eines Zauberspruchs so wunderbar vorkommen, der erinnre sich doch nur an die erste Berührung der Hand seiner Geliebten, an ihren ersten, bedeutenden Blick, wo der Zauberstab der abgebrochne Lichtstrahl ist, an den ersten Kuß, an das erste Wort der Liebe - und frage sich, ob der Bann und Zauber dieser Momente nicht auch fabelhaft und wundersam, unauflöslich und ewig ist. 2108

Die Menschheit ist der höhere Sinn unsers Planeten, der Nerv, der dieses Glied mit der obern Welt verknüpft, das Auge, was er gen Himmel hebt. 2109

(Die Körperwelt verhält sich zur Seelenwelt - wie die festen Körper zu den luftigen oder besser den Kräften.) (2110)

Licht ist Symbol der echten Besonnenheit. Also ist Licht der Analogie nach Aktion der Selbstberührung der Materie. Der Tag ist also das Bewußtsein des Wandelsterns, und während die Sonne, wie ein Gott, in ewiger Selbsttätigkeit die Mitte beseelt, tut ein Planet nach dem andern auf längere oder kürzere Zeit das eine Auge zu und erquickt im kühlen Schlaf sich zu neuem Leben und Anschauen. Also auch hier Religion - denn ist das Leben der Planeten etwas anders als Sonnendienst? Auch hier kommst du uns also entgegen, uralte kindliche Religion der Parsen, und wir finden in dir die Religion des Weltalls. 2111

Was ist also die Sonne? Ein durch sich erregbarer, mithin immer selbsttätiger, ewig leuchtender Körper. Und ein Planet? Ein relativ erregbarer, für fremde Anregung gestimmter Körper. 2112

Licht ist Vehikel der Gemeinschaft des Weltalls; ist dies echte Besonnenheit in der geistigenSphäre nicht ebenfalls? 2113

Wie wir, schweben die Sterne in abwechselnder Erleuchtung und Verdunklung; aber uns ist, wie ihnen, im Zustand der Verfinsterung doch ein tröstender, hoffnungsvoller Schimmer, leuchtender und erleuchteter Mitstern gegönnt. 2114

Die Kometen sind wahrhaft exzentrische Wesen, der höchsten Erleuchtung und der höchsten Verdunkelung fähig - ein wahres Ginnistan - bewohnt von mächtigen, guten und bösen Geistern, erfüllt von organischen Körpern, die sich zu Gas ausdehnen - und zu Gold verdichten können. 2115

Die Holzkohle und der Diamant sind ein Stoff, und doch wie vcrschieden! Sollte es nicht mit Mann und Weib derselbe Fall sein ? Wir sind Tonerde, und die Frauen sind Weltaugen und Saphire, die ebenfalls aus Tonerde bestehn. 2116

Licht ist auf jeden Fall Aktion - Licht ist wie Leben, wirkende Wirkung - ein nur im Zusammentreffen gehöriger Bedingungen sich Offenbarendes. Licht macht Feuer. Licht ist der Genius des Feuerprozesses.
Leben ist wie Licht, der Erhöhung und Schwächung und der graduellen Negation fähig. Bricht es sich auch wie dieses in Farben? Der Nutritionsprozeß ist nicht Ursach', sondern nur Folge des Lebens.
Alle Wirkung ist Übergang. Bei der Chemie geht beides ineinander verändernd über. Nicht so bei dem, was man mechanischen Einfluß nennt. Merkmal der Krankheit - der Selbstzerstörungsinstinkt. So alles Unvollkommne - so selbst das Leben - oder besser der organische Stoff.
Aufhebung des Unterschieds zwischen Leben und Tod. Annihilation des Todes. 2117

Was ist mehr wie Leben? - Lebensdienst wie Lichtdienst. 2118

Inneres, äußerst weites, unendliches Weltall, Analogie mit dem Äußern, Licht - Gravitation. 2119

Alles Sichtbare haftet am Unsichtbaren - das Hörbare am Unhörbaren - das Fühlbare am Unfühlbaren. Viclleicht das Denkbare am Undenkbaren - . 2120

Alles, was wahrgenommen wird, wird nach Maßgebung seiner Repulsivkraft wahrgenommen.
Erklärung des Sichtbaren und Erleuchteten nach Analogie der empfindbaren Wärme. So auch mit den Tönen. Vielleicht auch mit den Gedanken. 2121

Sollten Licht, Wärme und Schwere sich wie Antithesen und Synthesen verhalten? Licht vielleicht das absolut Flüssige - Wärme das absolut Starre - oder beide polarische Iiräfte - eine durchaus zentripetal - und die andre zentrifugal. Licht die Basis alles Flüssigen, Wärme die Basis alles Starren - beide nur relativ in diesem Sonnensystem vorhanden - immer gemischt. 2122

Sollte das Licht nur das Zeichen eines neuen Bundes - der sichtbare Genius des Bundes überhaupt sein ? . . 2123

Die durch das Licht erregte Wärme ist eine Tendenz der Körper, eine größere Lichtaktion zu ertragen, schlechterer Leiter der Lichtaktion zu werdcn; mithin ist Ausdehnung und Licht in sonderbarer Verwandtschaft ...
Sollte Licht sichtbare galvanische Aktion sein, sichtbar Innres sein und daher die Oberfläche dasselbe reflektieren? Ausdehnung bewirkt negative Elektrizität ... 2124

Unser Geist ist eine Assoziationssubstanz - Aus Harmonie - Simultaneität des Mannigfachen geht er hervor und erhält sich durch sie. Er ist eine Gicht - ein spielendes Wesen.
Der Geist ist das soziale - konkatenierende Prinzip - Nur ein Geist - eine Assoziation hat ihm das Dasein gegeben.
Der Tod versetzt ihn in der großen Assoziation irgendwo anders hin, - Assoziationsgesetze - er wird irgendwo anders erweckt - Licht ist die Aktion des Weltalls - das Auge der vorzügliche Sinn für das Weltall - oder Weltseele - Weltaktion. Die Strahlen desselben sind eine bloße Fiktion. 2125

Der Ton scheint nichts als eine gebrochne Bewegung in dem Sinn, wie die Farbe gebrochnes Licht ist, zu sein.
Der Tanz ist auf das engste mit der Musik verbunden und gleichsam ihre andre Hälfte.
Ton verbindet sich gleichsam von selbst mit Bewegung. Farbe ist gleichsam ein Neutralzustand der Stoffe und des Lichts - ein Bestreben Licht zu werden des Stoffs - und ein entgegengesetztes Bestreben des Lichts.
Sollte alle Qualität ein gebrochner Zustand - in der obigen Bedeutung sein?
Lust an der Mannigfaltigkeit der Bewegungen.
Sollten die Kristallisationsformen - eine gebrochne Schwerkraft sein?
Einfluß der Mischung auf die Figurenbildung.
Könnten nicht die Kristallformen elektrischen Ursprungs sein? 2126

Soldaten haben bunte Kleider, weil sie die Blüten des Staats sind, die weltlichen Enthusiasten. Oxyde.
Die Geistlichen sind reiner I~ohlenstoff - durchaus brennlicher, lichtkonzentrierender, bindender Natur - wärmend und glühend. Große Verwandtschaft zum Sauerstoff. 2127

Gedanken sind nur mit Gedanken gefüllt - um Denkfunktionen - wie Gesichte Augen- und Lichtfunktionen. Das Auge sieht nichts wie Augc - das Denkorgan nichts wie Denkorgane oder das dazugehörige Element. 2128

Der Mensch ist eine Sonne, seine Sinne sind seine Planeten. 2129

Von der Gleichheit der Sensationen - der Identität de Sinne - dem Primat des Auges und der Annäherung aller Materie dem Lichte - aller Handlungen dem Sehen - aller Organe dem Auge. 2130

Es ist eine falsche Idee, daß man Langeweile haben würde, wenn man alles wüßte. Jede überwundne Last befördert die Leichtigkeit der Lebensfunktionen - und läßt eine Kraft übrig - die nachher zu etwas anderm übrigbleibt. Es ist mit dem Wissen wie mit dem Sehn - je mehr man sieht, desto besser und angenehmer ist es - Ist man übler dran, weil man sieht? Unwissenheit unl Blindheit sind analog.
(Farber des wissens.) 2131


Note: Novalis, pseudonym of Friedrich von Hardenberg (1772-1801). The pseudonym of this German poet and philosopher came from an earlier family name "de Novali". During law studies in Jena he became acquainted with Schiller, and then in Leipzig he met Schlegel.
The works of Novalis were written during a very short time span, 1797-1801. He is most famous for his romance piece "Heinrich von Ofterdingen" and the "Hymnen and die Nacht", which he wrote in memory of his young love Sophie von Kühn, dead in tuberculosis at the age of 14.
The fragments and encyclopedic notations of Novalis are remarkable, and remarkably modern. "Blütenstaub" is the most famous of his collections of fragments. The New Fragments (Neue Fragmente) and The Encyclopedia (Die Enzyklopädie) are not as aphoristic but more daring. In his "Psychologie", Novalis was influenced by John Brown, a professor of medicine, who claimed that there were only two diseases, sthenic and asthenic, and that stimulants or sedatives, alcohol or opium, were the only options for treatment.
The texts here are from the Ewald Wasmuth edition of Novalis Werke/Briefe/Dokumente (rev. 1957). /KET
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